Wird Zeit, dass wir leben by Christian Geissler

Autor:Christian Geissler
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783943167191
Herausgeber: Verbrecher Verlag
veröffentlicht: 2013-07-12T00:00:00+00:00

III

Mörderwochen

Am Tage, als Schlosser verhaftet wurde, landete um sechzehn Uhr fünfundfünfzig, nach fast vierhundert Tagen Nordsüderkundung, der Testpilot* der Junkerswerke, der Unglücksvogel fürs Kriegsgeschäft auf einer bunten Wiese, alles rings blind glitzernd still. Er sah sich frei und endlich daheim, »ein glückliches, ganz neues Land«, sagte er zu den Reportern, und gerettet war er ja auch, nach Salto mortale an wüsten Küsten kam ihm das Leben vor wie geschenkt, und viele von denen, die er jetzt traf, fanden das auch für sich: gerettetes Leben, Glück, geschenkt, am Ende des Märchenbrunnens, nach Ekelreise durch schlundige Augen, nach Sturz durch rote Höhlen und Tiere, die glückliche Wiese danach, Arbeit und Brot. Ordnung und Frieden und Ruhe, gerettet, zerstürzt, beschenkt, verloren. Und Glückslieder auf die Ohnmacht.

(Keine Ahnung, wo Kuddel jetzt steckt.)

Denn endlich wieder ein Regiment, das die Verantwortung trägt, endlich, sozusagen bei Nacht, frei für ein neues Lebensgefühl, gegen das Chaos perverser Scherze, gegen internationale Seelen­losigkeit, herostratisches Zerstörungsgefasel, die Nacht frei gegen sich selbst, Wunderglück der Vernichtung, das Märchenglück finster verdreht: Wo der Frosch in der Nacht durchs Schloss hüpft und will zu der Schönsten ins Bett, und soll ihn doch an die Wände schlagen, damit alle Schönheit erst kommt, da packt der Frosch unser liebstes Kind und würgt es und trampelt und schmeißt, bis er sich auf es hinwälzen kann und Licht an im Schloss und Musik und Gelächter, der Froschkönig will auf die Wiese kommen, er kann den geplanten Platz nicht finden – wir warten im Nebel. Um Mitternacht lässt er uns sagen, er kommt – wir warten im Nebel. Und als der neue Tag aufkriecht, erscheint der Führer nach lauter Nacht in niedergehendem Regen, Lichtbild aus anderer Welt, und glücklich schon, wer nur Fingerspitzen, ein herzliches Wort hat schon manchen, im Ehrenspalier seiner ihm bis zum Tode, Wogen des Jubels, Liebe und Treue, Herzblut, strömend, des Volkes, Stunden danach noch, gellend, für endlich Arbeit und Brot, gegen Negermusik und die großen nackten Kaufhausschwänze der Juden.

Und keine Kaschemmen, sondern das Heim, kein Geldsack mehr, sondern Rucksack, keine Vorrechte, nur noch Volksrecht, und nie wieder Streit, alles Glauben.

(Kuddel hat selber Schuld.)

Sie glaubten sich lieber beim lieben Vater, der macht alles heil und glatt, bunter Abend für Arbeitslose, es jongliert Fred Ray, tanzt grotesk Nelly Hildebrandt, und es zeigt ein Sporttrupp der Polizei, wie man auf Schultern tritt, Hände und Hälse, und Staffellauf der Sperberaner Proleten rund um den Stadtparkwald, und Kundgebung für das Kraftfahrwesen, Weihestunde am Denkmal Carl Benz, mit Herzog von Mecklenburg, und im Hörsaal der geistigen Fakultät Vortragsreihe für Freizeitstunden, die Disziplinierung des Geistes, und im Hafen Barkassenturnier, der schnellste Prolet kriegt Fähnchen, und geben viele nun doch ihr Bestes unter den fast roten Fahnen, Auftrieb auf Werften, Dank an den Führer, Kampf gegen Spekulantentum, der gute Weg, trotz allem vorwärts, Deutschland ist über den Berg, der nächste Fasching heißt Friedensfasching, Schicksalsgemeinschaft, Einheit und Heimat, Gewissheit und blinder Gehorsam, und das Fest für Presse und Film und Funk läuft unter dem Titel Lachende Kunst, und in Paris von Professor Lahy

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